Familiengeschichten
Grażyna Oczkowicz
Interview aufgezeichnet: von Aleksandra Oczkowicz Katowice, Poland 24.11.2020

Grażyna Oczkowicz

Grażyna Oczkowicz ist im Dezember 1937 im Dorf Rzędowice in der Woiwodschaft Kleinpolen geboren. Sie war das dritte von fünf Kindern von Kazimiera Tkaczewska (geborene Grzywnowicz) und Stefan Tkaczewski. Im Krieg war Grażynas Vater Partisan, viele ihrer Kindheitserinnerungen sind daher mit dem Kampf gegen die deutschen Besatzer verbunden. Grażyna Oczkowicz hat ihre Kindheit und Jugend in Rzędowice verbracht. Nachdem sie ihre Kinder zur Welt gebracht hatte, zog sie mit ihrem Mann nach Schlesien, wo sie eine Anstellung in einem Büro in Sosnowiec fand. Bis heute lebt sie in Sosnowiec.

Mein Name ist Grażyna, jetzt Oczkowicz, aber geborene Tkaczewski. Mein Vater hieß Tkaczewski, daher entstamme ich der Familie Tkaczewski. Wir haben in einem Haus gewohnt, auf der einen Seite meine Oma, die Mutter meines Vaters, und auf der anderen Seite wir. Wir waren später zu fünft, zu Kriegszeiten waren wir aber noch weniger, nur zu viert. Die älteste Schwester hat der Opa, der Vater meiner Mutter, in ein anderes Dorf mitgenommen, da, wo meine Mutter herkam. Das hieß Częstoszowice. Damit bei uns zu Hause nicht so viele Kinder sind. Also war sie den ganzen Krieg lang nicht bei uns, sondern da war nur ich, mein Bruder Dzidek, der ein Jahr älter war als ich, und Kazik. Und noch Andrzej, aber der wurde im Laufe des Krieges geboren.

 

Mein Vater war ein sehr, sehr zäher polnischer Partisan. Er war sehr gutaussehend, groß und seit ich denken kann, hat er nur von Kämpfen und Partisanen gesprochen und war so ein „furchterregender Pole“. Das war alles geheim damals. Ich weiß noch, wie mein Vater mir beigebracht hat, dass ich nichts sagen darf [über die Partisanen – Anm. d. Aut.], weil sie nicht willkommen waren. Die einen unterstützten die Deutschen, wie das damals nun mal war, weil es ihnen gefiel [die deutsche Besatzung – Anm. d. Aut.], und die anderen verteidigten Polen, und mein Vater war sehr verbissen. Er hätte sogar seine Kinder dafür geopfert, damit Polen bloß bestehen bleibt.

 

Unser Haus war insofern sehr günstig gelegen, dass es weiter im Feld stand und nicht an der Straße. Alle anderen Häuser standen an der Straße, aber dieses eine nicht und so konnten die Partisanen zu uns kommen […]. Und dann kam er [der Vater – Anm. d. Aut.] dazu und sie berieten sich meistens bei uns, wo sie was machen, also, wegen der Kämpfe… Wie soll ich das ausdrücken?

 

Aber die Menschen im Dorf mochten meinen Vater gar nicht. Weil er den Partisanen half. Die Deutschen waren ja so schön und gut und wozu das Risiko eingehen? Und dann waren sie eben gegen meinen Vater. Probleme hat er ja einerseits schon gemacht. Aber mein Vater hat sich sozusagen um das ganze Dorf gekümmert, er war so eine Art Anführer, der so ein bisschen über das Dorf wachte. Trotzdem mochte man ihn nicht, denn er war ja bei der AK [Armia Krajowa, polnische Heimatarmee, eine militärische Widerstandsgruppe im Untergrund – Anm. d. Übers.]. Aber es war auch so, dass… Als Warschau bombardiert wurde. Warschau, ja, von Warschau war immer wieder die Rede. Die Warschauer kamen nach Tunel [eine benachbarte Ortschaft – Anm. d. Aut.] und soweit ich weiß, hat sich mein Vater um sie gekümmert, um sie da raus… Er hat den Transport organisiert. Ich weiß noch, wie sie gestritten haben und geschrien und meinen Vater beschimpft und überhaupt, aber der Transport war da, um die Warschauer zu holen. Diese Warschauer kamen mit dem Zug nach Tunel. Und mein Vater hat die Leute ausgesucht, die einen Wagen und ein Pferd hatten, dass sie nach Tunel fahren sollen, um die anderen abzuholen. Im Dorf hat er diese Warschauer dann in manchen Häusern einquartiert, damit sie da wohnen können, aber sie [die Dorfbewohner – Anm. d. Aut.] machten ihm deswegen große Vorwürfe.

 

Mein Vater hat mich überallhin an der Hand geführt. Das gab ihm irgendwie ein gutes Gefühl, so dass er mich immer mitnahm, wenn er irgendwohin ging, und dann ging es ihm besser. Und mein Vater sah dann später nach denen [den Warschauern – Anm. d. Aut.], ob sie genug zu essen haben. Manchmal brachte er ihnen auch was von uns, Grieß oder Kartoffeln. Und die Leute [die Dorfbewohner – Anm. d. Aut.] beschwerten sich über ihn, weil sie die Warschauer nicht bei sich haben wollten, aber mein Vater zwang sie dazu, weil Warschau ja zerstört war und die irgendwo leben mussten. Aber es kamen auch ein paar Gelehrte. Ärzte, Lehrer, dann hat mein Vater sie mitgenommen, weil da ein Palast war. Aus dem Palast waren die Herrschaften schon geflohen, die Eigentümer [die Familie Zdziechowski – Anm. d. Aut.] und der Palast stand leer. Und da quartierte mein Vater die Ärzte ein, irgendwelche Professoren oder so.

 

Manchmal kam so ein Mädchen hierher. Sie war so „dürr“, wie meine Oma immer sagte. Dünn, „dürr“, aber wenn sie hier ankam, war sie immer ganz dick. Sie trug einen Mantel und darunter hatte sie Gewehre versteckt. Und sie brachte Waffen und Kugeln hierher. Daran kann ich mich erinnern, so was. Da kommt sie! Sooo dick! Sie konnte kaum noch laufen. Ich weiß noch, wie die anderen sie bemitleidet haben, dass sie so schwer schleppen musste. Und eines Tages, da kam sie nicht mehr. Es hieß, sie war umgekommen, die Deutschen hatten sie erschossen.

 

Der Deutsche war wunderschön. Er gefiel mir so gut, weil er so schön angezogen war. Als er kam, da leuchteten seine Schaftstiefel so. Ich weiß noch, wie ich ihn ganz genau betrachtete, weil unsere Leute immer so zerlumpt rumliefen und er so schick war. Es war fast, als wäre ich neidisch auf meine Cousine, die war die Tochter der Schwester meines Vaters, dass die Deutschen zu ihr kamen [Grażynas Cousine bekam Besuch von deutschen Soldaten, weil sie im heiratsfähigen Alter war – Anm. d. Aut.]. Er [der Vater – Anm. d. Aut.] war damit einverstanden, damit sie nicht merkten, dass er bei den Partisanen war. Das hat man immer so gesagt. Dass er da deswegen was machen konnte.

 

Mein Vater hatte einen Freund, [er wohnte – Anm. d. Aut.] unten, der hieß Molenda. Das kann ich sagen, weil es in den Dokumenten mit Sicherheit steht. Die waren beide aus demselben Jahrgang. Und der [Molenda – Anm. d. Aut.] ging zu den Deutschen. Wie hieß das noch… Volksdeutscher ist er geworden. Und sie waren die besten Freunde, weil mein Vater und er Klassenkameraden gewesen sind. Und er hat ständig versucht, meinen Vater zu überreden, dass er überläuft [zu den Deutschen – Anm. d. Aut.]. Aber trotzdem war er sein Freund, denn er hat ihn ein paarmal gewarnt, dass die Deutschen kommen. Und er hat ihn auch noch gewarnt, weil mein Onkel in Wola [ein benachbartes Dorf – Anm. d. Aut.] auch sehr viel den Partisanen geholfen hat. Da hat er ihn gewarnt, dass die Deutschen zur Kontrolle kommen. Er [Molenda – Anm. d. Aut.] hat meinen Vater nicht mal verraten. Nur mein Vater hat immer wieder gesagt, dass er Pole ist und nicht zu denen [den Deutschen – Anm. d. Aut.] überlaufen wird. Ich habe nicht verstanden, was sie da immer erzählten, dass sein [Molendas – Anm. d. Aut.] Kopf mal „rollen“ wird. Und letztendlich war es so, dass die Partisanen ein Urteil über ihn fielen, einfach so. Todesstrafe durch Erschießung. Aber sie konnten ihn nicht kriegen. Ich weiß, dass immer wieder davon die Rede war, dass es so lange dauert, dass sie ihn nicht [kriegen – Anm. d. Aut.] können. Dass er schon viel zu lange die Polen verrät. Aber meinen Vater hat er nicht verraten! Als guter Freund. Aber eines Tages sagten sie, dass sie ihn getötet haben. Sie [die Molendas – Anm. d. Aut.] wohnten unter uns und mein Vater schickte mich nach unten, um nachzusehen, weil ich überallhin durfte. Irgendwie mochte man mich sehr gerne, als ich ein Kind war. Sie brachten ihn [Molenda – Anm. d. Aut.] in einem Leiterwagen weg. Ich weiß noch, wie er tot auf diesem Leiterwagen lag und sie ihn gerade zum Haus seiner Eltern fuhren. Mein Vater sagte, ich soll da hingehen und schauen. Und ich ging und niemand jagte mich fort. Ich erinnere mich noch an ihn [Molenda – Anm. d. Aut.], das ist mir lange in Erinnerung geblieben. Er saß auf einem Stuhl, der Tote, sie hatten ihn da hingesetzt, um ihn zu rasieren. Ich saß da und schaute zu und niemand jagte mich weg, denn später erzählte ich alles meinem Vater.

 

Dann kamen die Deutschen an, wie viele da reinstürmten, weiß ich nicht. Sie schrien „aufmachen“, aber Oma war nicht da auf der anderen Hausseite, sonst hätte sie ihnen vielleicht aufgemacht, aber sie war nicht da. Meine Oma war gerne unterwegs. Und sie schlugen die Tür auf, mit Kolben und was sie sonst noch hatten, da habe ich sehr geweint, weil es so eine schöne, neue Tür war. Sie gefiel mir so gut, wir hatten ja nicht so viel Schönes […]. Ich mochte schöne Sachen sehr gerne. Und das [die Tür – Anm. d. Aut.] gefiel mir so gut und sie haben es zerstört, einfach so! Ich weiß noch, wie die Splitter nach oben ragten… Sie wollten, dass wir ihnen aufmachen, und wir haben es nicht getan, weil mein Vater gerade zu Hause war. Er war von den Partisanen zurückgekommen, aus dem Wald. Er übernachtete gerade an diesem Tag zu Hause. Und er floh in seiner langen Unterhose aus dem Zimmer. In einem Moment schlief er noch im Zimmer und im nächsten konnte er sich weder anziehen noch was mitnehmen. Als die Soldaten die Tür aufschlugen, stürzten sie rein und suchten nach Waffen. Sie stellten uns an die Wand, befahlen uns, die Hände an die Wand zu halten und ich weiß noch, dass ich eine Hand an der Wand hatte und die andere am Rock meiner Mutter. Und sie schrien ganz furchtbar. Irgendwelche Schimpfwörter, sie schrien furchtbar und wir hatten so große Angst. Ich glaube, sie sollten uns damals erschießen, aber sie haben uns nicht erschossen. Sie haben alles im Zimmer umgeschmissen, zertreten, zerschlagen, mit den Kolben zerbrochen.

 

Später war Vater sehr krank. Weil er über den Schnee floh, barfuß, schlecht angezogen, in der langen Unterhose, wie Mama es uns später erzählt hat. Er floh ja direkt aus dem Bett und sie schliefen ja in langen Unterhosen. Und so floh mein Vater dann auch. Letztendlich war er sehr lange nicht da, Mutter hat nach ihm gesucht oder auch nicht, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er einfach nicht wiederkam, einfach nicht da war, und dann tauchte er plötzlich auf und ging nicht mehr kämpfen, weil er sehr krank war. Aber das Ende des Krieges hat er noch erlebt. Er lag im Stroh, im Stall, auf einem Wagen. Mitten im Stall lag er, so schwer krank, und ich weiß noch, dass ich bald darauf zur Kommunion ging, das muss wohl schon nach dem Krieg gewesen sein, weil ich da eben zur Kommunion ging. Ich kam zu ihm und beklagte mich, dass ich schlecht angezogen war [bei der Kommunion – Anm. d. Aut.]. Dass ich kein schönes Kleid hatte, dass die anderen Kinder so schön angezogen waren und ich nur so ärmlich, in einem geliehenen Kleid, und so beklagte ich mich bei ihm, das weiß ich noch. Und mein Vater sagte nur: Meine Tochter… Meine Tochter, sagte er… Meine Tochter, wenn ich gesund wäre, dann würde ich dich mit einem Schleier hinschicken. Ich weiß noch, wie er mir erzählte, dass ich mit einem Schleier zur Kommunion gegangen wäre und zufrieden wäre. Du weißt schon, solche Sachen, da erinnert man sich gut daran.

 

Die Menschen waren sehr gegen uns. Sie haben uns ganz schlimm zugesetzt, weil sie sagten, dass sie wegen meines Vaters so viel verloren haben, weil er ja unbedingt Partisan spielen musste. Sie haben uns diese Partisanengeschichte dauernd vorgeworfen und man mochte uns im Dorf nicht. Sogar als wir zur Schule gingen, wurden wir geärgert. Partisanen! Partisanen! So beschimpfte man uns. Man mochte uns im Dorf überhaupt nicht und das hielt noch sehr lange an. In diesem Dorf haben sie die Partisanen nicht unterstützt. Aber da war der Schulleiter […] und noch ein anderer, die zusammen mit meinem Vater die Partisanen befehligt hatten. Aber er musste später weg, weil er gesucht wurde, weil ja ganz Polen gegen die Partisanen war. Es gab Zeiten, da dachte man, wären die Partisanen nicht gewesen, dann wäre der Krieg nicht so schlimm gewesen oder so was. Deshalb weiß ich, dass die Leute meinen Vater nicht mochten, aber der Schulleiter, der war für die Partisanen. Er hat das ja verstanden, er war sehr klug und wusste, was Polen bedeutet. Er hat es sich nicht anmerken lassen, das durfte er nicht, aber er hat uns geholfen. Sehr viel geholfen.

From left - Stefania (the oldest sister), Zdzisław (called Dzidek), Kazimiera Tkaczewska (mother of my grandmother). Kazimiera is holding little Andrzej. Stefan Tkaczewski (is standing), Kazimierz (in white clothes) and Grażyna (my grandmother as a child)From left - Grandfather Grzywnowicz (father of Kazimiera Tkaczewska), little Zdzisław sitting in the middle and Stefan Tkaczewski

Die Interviews werden in den Originalsprachen oder Transkriptionen davon wiedergegeben, unter Berücksichtigung von nationalen, regionalen und individuellen Sprachmerkmalen.

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