Hälfte geschafft: Wie ein Online-Programm für Jugendliche aus drei Ländern zur Plattform für Integration und Lernen wurde

Der Oktober wurde zu einem besonderen Monat für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projekts „Die Geschichte beginnt in der Familie“. Mehr als 30 Jugendliche aus Polen, Deutschland und der Ukraine hatten die Möglichkeit, sich zweimal pro Woche online zu treffen und aus der Perspektive der drei Länder in die Zeit von 1933 bis 1945 einzutauchen. Neun intensive Online-Sitzungen, Diskussionen, Hausaufgaben und informelle Treffen wurden später zur Grundlage für Integration und Lernen.

Das Online-Programm sollte für ein umfassendes Verständnis der bereits erwähnten Zeit von 1933 bis 1945 sorgen. Die Themen reichen von der Geschichtspolitik über kritisches Denken und die Post-Truth-Ära bis hin zu virtuellen Reisen zu Gedenkstätten, Begegnungen mit Zeitzeugen und einer Auseinandersetzung mit den praktischen Instrumenten für weitere Oral-History-Forschungen. Für das interaktive Zusammenlernen solche Online-Tools verwendet wie das virtuelle Whiteboards Mural, Padlet, Mentimeter, das Online-Quiz Kahoot und viele weitere.

Wir haben das virtuelle Whiteboard Mural verwendet, wo die Teilnehmer zusammenarbeiten und die Ergebnisse ihrer Auseinandersetzungen mit verschiedenen Themen posten konnten. Wir streben die Integration der Jugendlichen aus den drei Ländern und eine kritische Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Vergangenheitan. Zu diesem Zweck haben wir versucht durch Geschichten und Überlieferungen über die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs Erinnerungen einzelner Familien zu untersuchen und dabei unsere eigenen Vorstellungen und Reflexionen geteilt. Wir wünschen uns, dass unsere Teilnehmer nach den virtuellen Treffen mit ihren Verwandten sprechen: über den Krieg und den Totalitarismus, über Erinnerungen, die von in einer Familie von Generation zu Generation weitergegeben werden, über Geschichten und Dinge, die man über Jahrzehnte aufbewahrthat. Wir hoffen darauf, schon im Dezember solche Familiengeschichten erfahren zu können. Da könnte man natürlich fragen: Na und? Warum ist es wichtig? Sich mit der Familiengeschichte auseinanderzusetzen und diese dann in einem internationalen Team zu besprechen veranlasst zum Dialog. Kriege und Missverständnisse fangen oft mit Unwissen und Vorurteilen an. Und wir wünschen uns, dass es in den internationalen Beziehungen weniger Vorurteile und mehr Raum für Interaktion und Dialog gibt.

OLEH OVCHARENKO, Moderator und Mentor des Projekts

Die Pandemie hat uns nicht daran gehindert, die Jugendlichen mit den Gedenkstätten bekanntzumachen. Dafür hatten wir die Online-Sitzungen über Bergen-Belsen, Auschwitz und Lwiw (Lemberg). Wir haben diesmal mit einer neuen Arbeitsplattform experimentiert, um die Jugendlichen für die Erforschung des Raums und der historischen Kontexte zu begeistern. Hierfürhaben wir eine virtuelle Stadtquest entwickelt, umdie Jugendlichen mit der Geschichte Lwiw im Zweiten Weltkriegs vertraut zu machen.

Da es nicht möglich war, die Teilnehmer nach Lwiw einzuladen, haben wir uns auf die Entwicklung der Stadtquest konzentriert. Als Basis dienten uns die Geschichten von drei Zeitzeugen: Leon Wells, Christine Higger und Stepan Horetschyj. Die Aufgaben waren mit bestimmten Fakten aus diesen Geschichten verbunden. Einerseits hat das Lösen dieser Aufgaben den Teilnehmern geholfen, ihre Kompetenzen in Sachen Quellensuche und digitales Präsentieren zu verbessern, andererseits wurden sie zu Diskussionen in Kleingruppen angeregt, die solche Themen angeschnitten haben wie Gewalt, Verlust des Zuhauses, Vielfalt und Einzigartigkeit persönlicher Erfahrungen, moralische und ethische Entscheidungen sowie die Veränderung der Staaten und der Staatsgrenzen aus städtischer Perspektive. Trotz der großen Entfernungen konnten alle aktiv mitmachen und genossen die Zusammenarbeit, wofür das interaktive Format und der Wettkampfeffekt sorgten.

TARAS NAZARUK, Experte, Mitentwickler der virtuellen Stadtquest

Während der Sitzung, die dem Umgang mit digitalen Instrumenten gewidmet war, wollten wir zeigen, wie Oral-History-Materialien zu interessanten und verständlichen Multimedia-Produkten verarbeitet werden können. Im Laufe des Workshops haben die Mentorinnen erzählt, auf welche Weiseman das gesammelte Material präsentieren kann und über technische Besonderheiten der Arbeit gesprochen.

Wir wollten die genauen Vorgehensweisen zeigen, wie man mit Foto-, Video- und Audiomaterial arbeiten kann. Wir wollten erklären, wie man die Ansichten seiner Figuren dem Publikum deutlich macht. Wir haben auch technische Momente angesprochen: wie man am besten ein Video- oder Audiointerview sozusagenim Heimstudio durchführt und wie man während der Arbeit an visuellen Oral-History-Projekten aus seinem Smartphone wirklich alles herausholt. Heute steht nicht mehr das Sammeln des Materials und das Durchführen von Interviews im Mittelpunkt: Man muss das Ganze auch entsprechend den Ansprüchen des heutigen Publikums aufbereiten. Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung, und ohne interessante Präsentationsideen würde man wohl kaum jemanden für seine Projekte begeistern können.

ANNA DOROZHKO, Expertin

Und wie sind die Eindrücke der Teilnehmerinnen und Teilnehmer von unserem Online-Kurs? Das haben wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus jedem der drei Länder gefragt.

Zunächst möchte ich mich für diese hervorragende Gelegenheit bedanken. Am interessantesten waren für mich zwei Sachen: die Kommunikation mit den Teilnehmern aus verschiedenen Ländern und zu entdecken, wie wir verschiedene Ereignisse, Phänomene und Themen wahrnehmen und verarbeiten. Auch die Online-Führungen zu Gedenkstätten und die Kommentare der Menschen, die da in der Nähe wohnen, waren interessant. Das alles erweitert das Weltbild. Ich würde mir mehr Kommunikation mit anderen Teilnehmern wünschen, um unsere Ansichten und Gedanken auszutauschen. Ich hab‘ viel Neues erfahren, aber ich sollte es lieber nicht aufzählen, denn das würd‘ dann zu lange dauern :).

VALENTYNA KASIAN, Teilnehmerin aus der Ukraine

Ich bin Litauerin und froh, dass ich dank meinem Studium in Deutschland an diesem Projekt teilnehmen konnte. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass mehr Länder daran beteiligt sein werden, darunter auch Litauen, damit man die Geschichte von mehreren Ländern analysieren und vergleichen kann. Dennoch denke ich, dass die Geschichte der Ukraine die Erfahrungen ganz Osteuropas hinter dem Eisernen Vorhang ganz gut repräsentiert. Nur dass es noch die spezifisch ukrainische Tragödie gab, den Holodomor (Hungersnot 1932/33, in der Ukraine als Völkermord anerkannt). Darüber möchte ich gern mehr erfahren. Deshalb wünschte ich mir am sehnlichsten die Sitzungen, die ich praktische Sitzungen nennen würde. Ich hoffe, dass sie uns auf die Besichtigung der drei Gedenkstätten vorbereiten, die ich erforschen will, insbesondere Lwiw (Lemberg).

ROBERTA BARTKUTĖ, Teilnehmerin aus Deutschland

Die Idee dieses Projekts, das auf der Erkundung verschiedener Familiengeschichten basiert, ist äußerst attraktiv. Dies ist eine großartige Möglichkeit, Jugendliche für die komplexen Fragen der polnisch-deutsch-ukrainischen Geschichte zu begeistern. Während der Online-Treffen waren für mich zwei Themen besonders interessant: die Präsentation der Geschichte des Memorials Bergen-Belsen und die Gedenkstätten Lwiws. Ich habe mich auch den Fragen der Erinnerungskultur und der Geschichtspolitik in Polen, Deutschland und der Ukraine zugewendet. Das Thema ist kontrovers und deshalb höchst interessant. Ich habe mich damit auseinandergesetzt und die Standpunkte der Menschen aus Deutschland und der Ukraine kennengelernt. Dadurch ist mir gelungen, in dieses Thema tiefer einzutauchen und ein umfassenderes Verständnis zu gewinnen. Deshalb mag ich die Idee, in einem internationalen Team zu arbeiten. Ich bin froh, dass Jugendliche immer noch den Wunsch haben, über die schwierige aber dennoch wichtige Geschichte nachzudenken, sie zu erforschen und zu hinterfragen, denn sie ist unser Erbe.

SYLWIA CABAJ, Teilnehmerin aus Polen

Mit dem Ende des Online-Programms haben wir die Hälfte der Projektaktivitäten bereits hinter uns. Mit der Unterstützung von Mentorinnen und Mentoren bereiten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf ihre Oral-History-Forschungen vor, um die Geschichten von ihren Verwandten aufzuzeichnen. Anschließend werden die Materialien während der Sitzung im Dezember präsentiert.

Spelling error report

The following text will be sent to our editors: