Semen Herasymowytsch
Die Geschichte eines gewöhnlichen Mannes, der während des Zweiten Weltkriegs als Spion diente.
Opa, sagen Sie bitte, gab es in unserer Familie jemanden, der während des Zweiten Weltkriegs gedient hat, oder gab es vielleicht irgendwelche Geschichten?
Mein Vater hat während des Zweiten Weltkrieges gedient. Er war noch ganz jung, als er da auf die Militärschule kam. Dort wurden Unteroffiziere und Offiziere ausgebildet. Nach der Militärschule wurde mein Vater Spion.
Wie hieß er?
Mein Vater hieß Semen Herasymowytsch.
Hat er den ganzen Krieg mitgemacht oder nur in bestimmten Jahren gedient?
Die letzten drei Jahre hat er gedient.
Er war also beim Militär, und dann wurde er Spion, oder…?
Sie waren auf der Militärschule, danach kam’s irgendwie gleich so, dass er zum Spion gemacht wurde.
Wenn Sie ihn über den Zweiten Weltkrieg fragten, hat er dann etwas erzählt?
Vater war ziemlich wortkarg. Und er vermied es,fotografiert zu werden. Und mir etwas erzählen tat er auch nicht.
Wie reagierte er auf Ihre Fragen? Hat er etwas gesagt oder einfach geschwiegen?
„Wenn du älter wirst, erfährst du alles selber“, hat er immer gesagt.
Vielleicht hat er während des Zweiten Weltkrieges Fotos oder Briefe geschickt…?
Vater hatte ein Kriegstagebuch, wo er alle Kampfgeschehnisse beschrieb. Genauso wie seine Kameraden, die ebenfalls alles aufschrieben, nachdem sie von ihren Missionen zurückgekehrt waren.
Hat er sich nach dem Krieg mit seinen Kameraden getroffen? Oder wollte er keinen Kontakt zu ihnen?
Ehrlich gesagt weiß ich das nicht mehr. Nach dem Krieg hat Vater in Potschajiw [eine Stadt im Norden der westukrainischen Oblast Ternopil – A. d. Ü.] gearbeitet, hat Unteroffiziere unterrichtet an einer Militärschule. Dort hat er gedient. Er hatte sozusagen seine Männer, seinen Zug, die er unterrichtete und zum Schießtraining brachte. Ich hab’ da nur so gesehen, aus dem Fenster unseres Hauses, wie er mit seinen Kursanten dran vorbeilief.
Welche Sprachen sprach er denn, wenn er Spion war?
Er sprach fünf Sprachen.
Das sind doch Ukrainisch, Englisch, Russisch und noch zwei Sprachen!
Er konnte fließend Deutsch. Ich weiß noch: Als ich in der Schule Deutsch hatte, da hab ich mal eine Zwei in Deutsch gekriegt, für die Übersetzung. Und zu Hause musste ich da aushelfen und Kartoffeln ausgraben. Mama war krank. Zwei oder drei Tage später ging Vater in die Schule. Als er anfing, mit unserem Lehrer Deutsch zu sprechen, war der sehr überrascht. Gott weiß worüber sie da gesprochen haben, das wussten wir nicht.
Hatten Sie keinen Wunsch, auch Sprachen zu lernen, wie Ihr Vater? Oder gab es früher keine Möglichkeit, so was zu tun?
Ist nie mein Ziel gewesen, Fremdsprachen zu lernen.
Gibt es vielleicht noch Fotos oder dieses Tagebuch, von dem Sie erzählt haben, dass Ihr Vater eins hatte? Oder hat man sie verloren?
Keine Ahnung, wo das alles liegt. Kannst aufn Dachboden steigen du dort danach suchen.
Okay. Danke für diese Geschichte.
Das ist eine kleine Offiziersgeschichte, da gibt’s nicht viel zu erzählen. Also, Vater wurde an der Front verletzt. Deshalb sieht er so blass aus. Mit einer Patrone, mit einer Kugel hat man dann die Brust einfach durchschossen, alles hat man damit dann durchschossen.
Danke für diese Geschichte. Die höre ich jetzt zu ersten Mal. Das hab ich früher nicht gewusst. Sehr interessant.
Mein Vater hat 50 Jahre gelebt. Ist in seinen besten Jahren gestorben. In seinen besten Jahren ist er gestorben, denn er war 50. Am 14. Januar wurde er 50, und am 21. ist er dann gestorben.
Die Interviews werden in den Originalsprachen oder Transkriptionen davon wiedergegeben, unter Berücksichtigung von nationalen, regionalen und individuellen Sprachmerkmalen.