Familiengeschichten
Jakiw Trusow
Interview aufgezeichnet: von Valentyna Kasian obwód doniecki, Ukraina 01.12.2020

Jakiw Trusow

Das ist die Geschichte von unserem Vater, Opa und Uropa, der an den heftigsten Schlachten des Deutsch-Sowjetischen Krieges teilnahm. Die Ereignisse der 40er Jahre haben ihn so sehr geprägt, dass er – obwohl er zu den Siegermächten gehörte – nur sehr selten etwas aus jenen schrecklichen Zeiten erzählte. Die Erinnerungen an diese Zeiten, an seine Kriegskameraden, die meisten von denen gefallen sind, schmerzten ihn immer sehr. All die Erinnerungen, die er teilte, haben seine Kinder bewahrt. Darunter auch meine Oma (seine Tochter), meine Mutter und mein Onkel (seine Enkelkinder) und ich. Zusammen haben wir unsere Familiengeschichtsforschung gemacht und alle Informationen gesammelt und geordnet, die wir von Uropa und aus den Archiven haben. Der Text wird von meiner Mutter als einer der Geschichtsträgerinnen in unserer Familie gesprochen.

Zum Gedenken an Jakiw Trusow

 

Ferne Grabhügel, längst schon bewachsen vom Gras,

Steh’n so einsam, dort liegen die Jungen,

Die ihr Leben geopfert im Kampf an der Front

Und den Sieg für die Heimat errungen.

Und die Kriegsveteranen, die blicken so ernst,

Ihre Trauer vermengt sich mit Schmerzen.

Und im Hintergrund seh‘ ich noch immer den Krieg,

Bomben, Schreie und Hoffnung im Herzen.

Noch ein Blick in die Augen, es pocht mir im Kopf,

Tränen laufen mir über die Wangen.

Und ein Bursche, so jung, der sofort war bereit,

Als die Rufe der Heimat erklangen.

Auch ein Greis, seine Brust mit Medaillen geschmückt,

Hat Faschisten nach Deutschland vertrieben.

Kameraden gefallen, verstreut übers Feld,

Wo sie ruh’n nun im ewigen Frieden.

Heute gibt’s keinen Krieg, doch ich seh‘ ihn so klar:

Wie mein Opa den Reichstag erobert sogar.

Ins besiegte Berlin fährt sein Panzer nun ein,

Und er ruft: Ich bin da, und ich bin nicht allein!

Und den Burschen, so jung, der sofort war bereit,

Kann man nie mehr entreißen der ewigen Zeit.

War ein Held wie mein Opa, gekämpft und gesiegt,

Leider ist er gefallen in unserem Krieg.

An den Burschen hat Opa noch lange gedacht,

Doch er nahm sich vor drückender Trauer in Acht.

Aus Gewohnheit schon hart, denn der Sieg fiel so schwer.

Er ist auch nicht mehr da, und er fehlt mir so sehr…

Ju. Swerewa, die Enkelin von J. Trusow (übersetzt von V. West)

 

 

Unser Großvater, Jakiw Trusow, wurde am 15. Mai 1924 im Dorf Jalkanka der Oblast Charkiw geboren, in einer Arbeiter- und Bauernfamilie. Er war der älteste Sohn in der Familie mit 4 Kindern. Er half seinem Vater bei den Feldarbeiten, als junger Mann ging er mit Mädels aus und träumte von einem friedlichen und glücklichen Leben und einer Familie. Er, noch gar nicht erwachsen, war einer jener Soldaten, deren Mut den blutigen Krieg des nationalsozialistischen Deutschlands stoppte.

 

Der Krieg begann, als Opa gerade 17 wurde. Sein Vater ging sofort an die Front. Er kehrte nie aus dem Krieg zurück. Im Januar 1942 wurde Opa vom Kriegskommissariat des Rajon Barwinkowe [Verwaltungseinheit innerhalb der Oblast Charkiw – A. d. Ü.] einberufen und schloss sich dem 5. Mechanisierten Korps [Panzerformation der sowjetischen Roten Armee – A. d. Ü.] der Woronescher Front, das ab Dezember 1942 gegen die deutsche Infanterie und Panzer kämpfte. Im Juli 1943 nahm das 5. Mechanisierte Korps an der Schlacht bei Prochoriwka teil, im südlichen Teil des Kursker Bogens. Opa erzählte, dass es die Aufgabe des Korps war, die Angriffe der Artillerie und der Panzer durch Feuerwaffen zu ermöglichen, indem sie den Angriffen der Deutschen entgegenwirkten. Opa sagt, sie kämpften gegen drei SS-Divisionen: den „Totenkopf“, das „Reich“ und die „Leibstandarte SS Adolf Hitler“. Das war einfach schrecklich, ein Blutbad ist es gewesen. Tausende Jungs sind damals gefallen. Das war der hohe Preis, den man bezahlen musste, um den Verlauf dieses Krieges zu ändern.

 

Opa sagte, dass die Woronescher Front im Oktober 1943 in 1. Ukrainische Front umbenannt wurde, dann fing die Schlacht um Kiew [heute Kyjiw – A. d. Ü.] an. Da nahm auch die tschechoslowakische Artillerie daran teil. Dieses Ereignis brachte unseren Opa und seinen guten Freund Zdeněk zusammen. Diese Freundschaft erhielten sie ihr ganzes Leben lang aufrecht. Also, im November 1943 forcierten sie den Fluss Dnepr [ukr. Dnipro]. Die Ereignisse jener Tage sind Opa – wie auch seinen Kameraden und allen, die da waren – für immer in Erinnerung geblieben.

 

Später, im Juli 1944, nahm Opa an der Lwiw-Sandomierz-Operation teil, deren Ziel die Befreiung der Westukraine und die Besetzung von Südostpolen war. Unser Opa, Jakiw Trusow, nahm also an den wichtigsten militärischen Operationen gegen den Feind teil. Einmal wurden sie eingekesselt, da wurde Opa verwundet, und später wurde er mit der Medaille „Für Verdienste im Kampf“ ausgezeichnet, für seinen Mut und seine Tapferkeit in den Schlachten um Hennerwitz [Dorf in Polen, nahe der tschechischen Grenze – A. d. Ü.].

 

Als Mitglied des 379. schweren selbstfahrenden Artillerie-Regiments (2. Weißrussische Front) durchbrach Opa die feindlichen Linien und gelangte weit dahinter, begegnete den Deutschen in der Nähe von Beelitz, etwa 40 km von Berlin entfernt.

 

Aus Opas Erinnerungen: „Der Feind versuchte, durchzubrechen, doch hielten wir ihn zurück. Unser größter Vorteil war die aktive bewegliche Verteidigung, und für manche Panzer Hinterhalt.“ Er sagte, dank dem Hinterhalt und dem regelmäßigen Wechsel der Schusspositionen konnte ihr Panzer dem Feind tagsüber großen Schaden zufügen. Sie halfen den Schützen, vier feindliche Angriffe abzuwehren. Opa sagte, sie haben gewonnen, weil sie ihre Positionen immer sorgfältig ausgewählt hatten. Sie saßen im Hinterhalt, vergruben den Panzer, tarnten sich. Er sagte oft, wie mutig und tapfer die Panzerfahrer gewesen waren. Für seine mutige Teilnahme an den Offensiven und an den Schlachten um Beelitz erhielt Opa den Orden des Roten Sterns.

 

Ins Berlin fuhr Opa mit seinem Panzer ein. Er war einer von denen, die die höllischen Foltern der Deutschen erlebt hatten. Er rettete seine verwundeten, blutenden Kameraden aus dem Feld. Mit seinen Tränen, mit seinem Blut wurde der Frieden bezahlt. Er hat alles hingegeben, um seine Heimat, sein Dorf Jalkanka, seine Geschwister zu beschützen, vor der grundlosen Überheblichkeit, die diese schrecklichen Gewalttaten verursachte.

 

An der Reichstagswand stand auch der Name unseres Opas, Jakiw Trusow. Und möge seine Heldentat nie vergessen werden, sowie auch die Heldentaten jener, die ins Feld geschickt waren und nie zurückkehrten.

   

Aus dem Krieg kehrte Opa als Held zurück. Danach wurde er Bauarbeiter, um die zerstörten Städte und Dörfer wieder aufzubauen. Er war ein Mensch mit vielen Verdiensten. Dann traf er seine große Liebe, Katerina, die ihm drei Kinder gebar, er baute ein Haus, pflanzte einen Garten. Er erfüllte all seine Träume. Von den schrecklichen Schlachten und blutigen Kämpfen hat er nie was erzählt, aber er erinnerte sich stets an seine Kameraden. Er starb am 19. Februar 2008 im Kreise seiner Familie und nahm die Erinnerungen an jene schwierigen Jahre mit ins Grab. Möge die Erinnerung an ihn für immer in unseren Herzen bleiben… für immer.

 

Wie schmerzhaft es ist, dass die Ereignisse jenes Krieges in Vergessenheit geraten. In der Ukraine hört man nun wieder Schüsse, wieder einmal sterben jetzt viele Menschen. Aber dies ist nun eine ganz andere Geschichte.

Die Interviews werden in den Originalsprachen oder Transkriptionen davon wiedergegeben, unter Berücksichtigung von nationalen, regionalen und individuellen Sprachmerkmalen.

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