Familiengeschichten
Zofia Płaszewska
Interview aufgezeichnet: von Katarzyna Żywko Kraków, Polska 20.11.2020

Zofia Płaszewska

Oscar Wilde sagte einst: „Leben, das ist das Allerseltenste in der Welt – die meisten Menschen existieren nur“. Ich habe ein Interview mit meiner Oma durchgeführt, die als Kind den Krieg erlebt hat. Diese Ereignisse haben sich tief in ihre Erinnerung eingeprägt, doch sie hat nie aufgehört, die schönsten Seiten des Lebens zu sehen und teilt jeden Tag das, was im Leben am wichtigsten ist, mit anderen. Diese Geschichte dreht sich um Emotionen und Erinnerungen und handelt vom Leben im Krieg aus der Sicht eines Kindes.

Mein Name ist Płaszewska Zofia. Ich bin im Jahre 1935 in einem Dorf bei Krakau, einem kleinen Dorf namens Gnatowice, geboren. Ich habe dort mit meinen Eltern gewohnt. Die Familie erstreckte sich über zwei Generationen, denn da lebten meine Großeltern väterlicherseits, meine Eltern, ich und noch der jüngere Bruder meines Vaters.

 

Was sind deine frühesten Erinnerungen?

 

Ich erinnere mich an ein paar Ereignisse aus den ersten Jahren meiner Kindheit, ab dem dritten oder vierten Lebensjahr. Meine Eltern hatten einen kleinen Bauernhof, 2,5 Hektar, die Bedingungen waren zu schwer, als dass man davon eine Familie hätte ernähren können. Meine Mutter war Schneiderin und nähte für die Bewohner von Gnatowice und den umliegenden Dörfern, so dass unsere Lebensbedingungen ein wenig besser waren. Um mich kümmerte sich hauptsächlich meine Oma. Sie erzählte mir viel vom Leben in der Stadt, weil meine Großeltern früher, bevor sie nach Gnatowice gezogen waren, in Schlesien gelebt hatten. Mein Opa arbeitete dort in einer Hütte, aber er hatte einen Unfall und konnte nicht mehr arbeiten, also gingen sie zurück aufs Land, bauten sich ein Haus und wohnten dann hier.

 

Kannst du dich an den Tag erinnern, an dem der Zweite Weltkrieg ausbrach?

 

Es war ziemlich ruhig. Eines Tages waren die Erwachsenen plötzlich komisch: nervös, trafen sich mit Nachbarn, erzählten verschiedene Sachen. Da fragte ich meine Oma, was denn los ist, wieso sich die Leute treffen, und meine Oma hat mir gesagt, dass es mit Sicherheit Krieg geben wird. Und tatsächlich sahen wir nach einigen Tagen sehr schwere Flugzeuge, die aus Krakau Richtung Osten flogen, und am nächsten Tag marschierte eine ganze deutsche Armee die Hauptstraße entlang, die durch unser Dorf in Richtung der kleinen Stadt Proszowice führte. Es kamen Panzer und dahinter fuhren Autos, die eine Menge Soldaten transportierten, alle mit Gewehren in der Hand. Das dauerte etwa eine Stunde und wir beobachteten es die ganze Zeit, denn die Entfernung zwischen der Straße und unserem Haus war gering, also konnte man sogar die Gesichter der Soldaten erkennen. Dann kam eine weitere Armee auf riesigen Motorrädern. Das war so ein Überfahrtstag, alle waren sehr nervös und besorgt, dass die Deutschen schon da waren, dass der Krieg begonnen hatte. Alle wussten, dass unser Leben sich ab jetzt verändern würde. Die Frauen weinten, die Männer machten sich Sorgen, was jetzt passieren würde. Ein paar Tage lang war es ruhig und dann hängte der Schultheiß im Dorf Plakate aus, die ihm die Deutschen gebracht hatten. Das waren Anordnungen, die alle Bewohner der umliegenden Dörfer betrafen. Ich erinnere mich auch an ein Gespräch von den Erwachsenen, als sie sagten, dass jetzt eine neue Regierung eingerichtet wird und dass sich jeder unterordnen muss, weil man wusste, dass es sonst Strafen geben würde. Ich glaube sowieso, dass die Menschen spürten, dass die Deutschen die Polen ermorden würden.

 

Wie sah das Leben nach der Ankunft der Deutschen aus?

 

Obwohl ich damals vier Jahre alt war, sind mir einige Fakten in Erinnerung geblieben, weil ich es sehr heftig erlebt habe. Ich habe das Verhalten der Erwachsenen beobachtet, die nervöse Stimmung, das Weinen der Frauen. Genau das hat sich dauerhaft in meiner Erinnerung eingeprägt. Zu diesen Ereignissen gehörten auch die Anordnungen, welche Pflichten den Bewohnern auferlegt werden und welche Strafen bei Nichterfüllung gelten. Wir hatten die sogenannte Kontingentspflicht, das heißt, wir mussten den Deutschen einen Teil vom Getreide, von der Ernte, vom Vieh abgeben. Ob dann noch was für die Bewohner zum Überleben übrigbleiben würde, das interessierte sie nicht. Oft war es so, dass man ihnen die letzte Kuh abgeben musste. Im Dorf gab es eine Familie mit sechs kleinen Kindern. Es war ein kleiner, ärmlicher Bauernhof, aber sie mussten trotz allem ihre Kuh abgeben, so dass ihre Kinder keine Milch mehr bekamen. Die Situation wurde noch schlimmer in den folgenden Jahren, als um Proszowice herum Partisanen aktiv wurden.

 

Kannst du dich an irgendwelche Momente erinnern, in denen die Deutschen dein Dorf gestürmt und die Bewohner bestraft hätten?

 

Ich kann mich ganz genau an so eine Situation erinnern, als die Deutschen frühmorgens ins Dorf kamen. Der Schultheiß wohnte nicht weit weg von meinem Elternhaus und sie fuhren dahin, ließen das Auto da und ein paar Deutsche gingen zusammen mit dem Schultheißen auf unser Haus zu. Wir bekamen Panik, weil in einem Wirtschaftsgebäude, in einem sogenannten Stall, wo wir das Getreide nach der Ernte und das Futter für Pferde und Vieh aufbewahrten, Heu und Wiesenklee, da schliefen gerade 15 junge Partisanen. Mein Papa war selbst kein Partisan, aber er half auf andere Art und Weise. Als Vater die Deutschen sich nähern hörte, gab er den Partisanen schnell Bescheid und sie flohen zur anderen Seite des Hauses hinaus, aber sie ließen die Decken und Mäntel im Stall liegen, mit denen sie sich zugedeckt hatten. Meine Mutter und Oma liefen schnell dahin, um das alles zu verstecken, aber sie waren sehr gestresst, weil die Deutschen schon sehr nahe waren. Mein Vater war sehr gestresst, er konnte weder rausgehen, noch irgendwie reagieren, weil er beobachtet hat, wohin die Deutschen gehen. Zum Glück konnten sie all das verstecken, aber als sie wiederkamen, waren sie außer sich vor Angst. Sogar ich spürte, dass da gerade irgendwas Schlimmes geschah, obwohl ich klein war. Es stellte sich heraus, dass sie [die Deutschen – Anm. d. Übers.] in ein anderes Haus in der Nähe gingen, dessen Bewohner angeblich Partisanen unterstützt haben. Sie nahmen zwei ältere Menschen mit, ihre Schwiegertochter, ein kleines, ungefähr einjähriges Kind und den Mann der jungen Frau, aber ihn setzten sie ins Auto und fuhren mit ihm ins Unbekannte, den Rest brachten sie ein Stück weit hinters Dorf. Da war ein Hügel, daneben floss ein Bach und da gab es auch eine kleine Lichtung. Dorthin brachten sie sie und erschossen sie dort. Im Haus hörten wir Schüsse und dann noch mehr Schüsse. Es stellte sich heraus, dass sie unweit von dort noch einen jungen Mann und seine Schwägerin erschossen hatten. Dann befahlen die Deutschen dem Schultheißen, ein Loch zu graben und die Leichen darin zu verscharren. Bis heute höre ich dieses fürchterliche Weinen und Schreien der Mutter, deren Tochter und Enkelin erschossen wurden. Das war für mich so erschreckend, dass es mir in Erinnerung geblieben ist, und obwohl ich mittlerweile über 85 Jahre alt bin, irgendwo in meinem Bewusstsein höre ich dieses Weinen immer noch.

 

Kannst du dich noch an weitere solche Situationen erinnern?

 

Ein weiteres Ereignis, an das ich mich bis heute erinnere, war damals, als mein Opa krank wurde und wir den Pfarrer zu uns gebeten haben, weil das damals Brauch war auf dem Lande. Der Pfarrer aus der Pfarrei Koniusza kam zu uns und sagte, dass da wohl was Schlimmes in der Gegend los ist, weil ihm jemand gesagt hat, dass sehr viele Deutsche in das Dorf Łyszkowice in unserer Nähe kommen. Der Pfarrer setzte sich hin und unterhielt sich mit meinen Eltern, als wir plötzlich Schüsse hörten, eine ganze Serie. Alle waren sehr nervös und der Pfarrer fragte, ob er noch kurz bleiben und abwarten darf. Ich weiß nicht, wie viel Zeit noch vergangen war, aber man konnte noch einzelne Schüsse hören. Zuerst wussten wir nicht, was passiert war, aber bald darauf kam jemand mit der Nachricht, dass in Łyszkowice sehr viele junge Menschen erschossen wurden. Wir wussten damals nicht mal, wie viele. Dann kamen die Deutschen, umstellten das ganze Dorf und fingen an, Leute zu verhaften. Neben dem Dorf lag ein Gebiet mit einem Hügel und Wiesen. Da lief auch die Schmalspurbahn von Kocmyrzów nach Kazimierza Wielka entlang, hinter Proszowice, und dort, auf diesen Wiesen, haben sie die jungen Leute versammelt. Es wurden ungefähr 40 Männer dort versammelt und sortiert. Circa 28 junge Menschen wurden dort erschossen. Die Deutschen nannten keinen Grund für diese Erschießungen. Den Rest verhafteten sie. Das waren diejenigen, die in Gnatowice verhaftet wurden, aus den Häusern, aus denen früher Menschen erschossen worden waren. Die Ehemänner der erschossenen Frauen wurden nach Miechów gebracht und dort verhört und brutal behandelt. Sie wurden später entlassen, aber erst dann, als Menschen aus ihren Familien umgekommen waren. Ich komme jetzt wieder auf Łyszkowice zurück. Die Deutschen befahlen, die Leichen dort zu vergraben, wo die Menschen erschossen worden waren. Ich habe niemanden weinen gehört, aber ich konnte es mir vorstellen, nachdem ich die Menschen in meinem Heimatdorf vor der Erschießung weinen gehört hatte. Das war ein furchtbares Ereignis, die Menschen waren sehr nervös und wussten nicht, was los war. Ich erinnere mich an noch ein Ereignis, ich habe es zwar nicht selbst gesehen, aber ich habe es aus den Gesprächen meiner Eltern mitbekommen. Ich habe gehört, dass in Posądza auch eine ganze Familie ermordet wurde, weil sie Juden versteckt hatten. Die Juden kamen aus Proszowice, denn in dieser Region lebten vor dem Krieg recht viele Juden. Sie waren Handwerker, Kaufleute und lebten in Proszowice. Eine von diesen Familien hatte Juden versteckt, und als die Deutschen davon erfuhren, töteten sie sowohl die Juden, als auch die Familie.

 

Am Anfang habe ich nicht erwähnt, dass ich nach der Grundschule ein pädagogisches Gymnasium in Krakau absolviert habe und dann als Lehrerin gearbeitet habe. Ich wurde zum Kreis Miechów zugeteilt, habe eine Stelle in der Schule in Koniusza bekommen, und lebe bis heute hier.

Die Interviews werden in den Originalsprachen oder Transkriptionen davon wiedergegeben, unter Berücksichtigung von nationalen, regionalen und individuellen Sprachmerkmalen.

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